Er brauchte zehn Schritte bis zur Theke, bezahlte mit Fingerzeig in ihre Richtung, wobei er es vermied sie anzusehen. Sie dagegen sah ihm nach, sah ihm nach als er sie verließ. „Es ist nicht deine Schuld, es ist meine Schuld. Ich bin noch nicht so weit. Soweit für was? Für dich, für diese Liebe“. Die Worte hallten ihr in ihr nach wie ein Echo in endlos leeren Gängen. Sie schloss die Augen, umklammerte mit gekrümmtem Rücken ihre Knie und zwang sich regelmäßig ein und wieder auszuatmen. Sie musste sich spüren, sich ihrer Lebendigkeit vergewissern. Ein und wieder ausatmen.
Sie öffnete die Augen, nichts hatte sich verändert. Jacky Brown und Baby Miller tanzten ihren endlosen Tango, Marilyn Monroe stand aufreizend im Luftzug, Charlie Chaplin hielt gekonnt seinen Hintern in Pose. Gesprächs-fetzen stiegen vermischt mit dem Rauch der Zigaretten zur Decke des Raumes, wo sie vom Ventilator in kleine Stücke zerhackt wurden um sich letztlich in einem der roten schweren Samtvorhänge zu verfangen.
„Darf ich Ihnen noch etwas bringen“, das Lächeln der Bedienung strahlte sie an, während diese dabei war den Tisch abzuräumen. „Nein, danke“, aber könnten Sie die Sachen bitte noch stehen lassen.? Sie betrachtete die schlichte Porzellantasse, weiß stand für Unschuld. Er hatte eben noch daraus getrunken. Behutsam nahm sie sie in beide Hände, streichelte sanft mit den Daumen über die zarten Spuren seiner Lippen, presste sich die Tasse mit geschlossenen Augen gegen die Stirn wobei sie sie langsam hin und her bewegte, betrachtete sie wieder, legte ihre Lippen auf seine. Der Duft von Kaffee stieg ihr in die Nase. Sie selbst trank keinen, hatte ihm aber jeden Morgen einen ans Bett gebracht mit einem kleinen Schuss Milch, ohne Zucker. Manchmal hatte er sie nach dem ersten Schluck geküsst und ins Bett gezogen.
Ihr Zeigefinger streichelte sanft über ihre Nase, als sie die Tasse langsam von ihren Lippen löste und zu einem einsamen Keks auf den Unterteller zurückstellte. Der Aschenbecher verriet seine Nervosität, er hatte in der knappen Stunde die er mit ihr verbrachte acht Zigaretten geraucht. Filterzigaretten. Es gab Zeiten, da drehte er selbst. Es war soviel Sinnlichkeit darin, wie er den Tabak gleichmäßig auf eines der Blättchen bettete, gekonnt mit leichtem Druck zusammenrollte und dann mit einer Hand zum Mund führte, um vorsichtig die Klebefläche mit der Zunge anzufeuchten. Sie hatte sich oft gewünscht, sie wäre eine solche Zigarette. Sie war der Überzeugung, dass sich in der Art wie ein Mann Gegenstände berührte seine Zärtlichkeit einer Frau gegenüber widerspiegelte.
Mit ihm war es Genuss gewesen. Beim Gedanken daran wurde ihr heiß,
ihr Herz schlug schneller. Ein Verlangen nach diesem Mann erfüllte sie plötzlich mit gewaltsamer Traurigkeit. Sie zog ihre Beine zur Brust, umschlang sie mit ihren Armen, wobei sie ihr Gesicht bis zur Nasenspitze in ihre Ellenbeuge vergrub um die aufsteigenden Schluchzer zu unter-drücken. Sie wunderte sich, dass sie immer noch nicht weinte. Vor ihm hatte sie nicht weinen wollen, war handlungsunfähig gewesen. Es kam für sie so unerwartet, sie konnte es auch jetzt noch nicht begreifen. Sie erhob sich, ging zu seinem Platz ihr gegenüber, kniete nieder und fuhr mit der Hand über die hölzerne Sitzfläche des Stuhles. Ihr Kopf ruhte an dessen Lehne, sie meinte noch seine Körperwärme zu spüren.
„Kann ich jetzt abräumen?“, dasselbe Lächeln. Traurige Augen begleiteten ein stummes Nicken. Als sie die Türe öffnete schlug ihr Kälte entgegen und mit dem eisigen Wind kam der Schmerz und trieb ihr endlich die Tränen in die Augen.
RF 1979
